Uniadmin
Skip to content

Tina

Wahr­schein­lich war ich besof­fen Auto gefah­ren, laut Navi 780 Meter bis zur Tank­stel­le in Mar­zahn-Hel­lers­dorf, wo ich nun, an mein Auto gelehnt, in die frü­he Son­ne blin­zel­te und mir einen Kaf­fee aus einem Papp­be­cher in den Kopf kipp­te – Sonn­tag, sie­ben Uhr früh, der Sonn­tag nach einer Geburts­tags­par­ty in Ber­lin Mahls­dorf, ein Haus, ein Gar­ten, eine Boom­box, ein Grill, es gab gei­le Steaks, und es gab Livia, die gra­de mal vor drei Stun­den noch ihren Kopf an mei­ne Brust gelegt hat­te, wir hiel­ten kur­ze Zeit ein­an­der fest, dann ging sie, und ich blick­te ihr nach, bis ihre Sil­hou­et­te in der Dun­kel­heit verschwand.
Ich hat­te im Auto gepennt, quer auf der Rück­bank im Pas­sat, hät­te nicht heim fah­ren kön­nen, zu viel Bier, zu viel Suff, zu viel Jumm, zu mie­se Nach­rich­ten. Tina ist tot, seit zwei Wochen. In der zehn­ten war ich ein biß­chen ver­liebt in sie. Sie wohn­te, wo heu­te der Kreis­ver­kehr ist. Damals war dort ein Drei­eck, kein Kreis­ver­kehr, in der Mit­te die Pum­pe, eine Pum­pe an der wir nach der Schu­le im Som­mer kal­tes Was­ser zapf­ten. Es schmeck­te metal­lisch, ros­tig, unver­geß­lich. Die Pum­pe gibt es nicht mehr und Tina jetzt auch nicht mehr.
Man­che hat­te ich zehn, zwan­zig oder drei­ßig Jah­re nicht gese­hen, man­che dach­ten, ich müß­te auch tot sein, da ich immer solch Augen­rin­ge hat­te, eini­ge lall­ten, Biker­ty­pen, Biker­bräu­te, schrä­ge Typen, kras­se Leu­te. Kennst du den, erin­nerst du dich an jenen? Ja, Tina, die ist nicht mehr. Auf einem Fern­se­her lief ohne Ton das Vier­tel­fi­na­le Nie­der­lan­de, Tür­kei, aus der Boom­box don­ner­te irgend­wann das Lied, aber kei­ner sang den Text, sie san­gen nur “Döp dö dö döp”, ich zapf­te mir noch ein Bier, viel Schaum, ich tanz­te, und zwi­schen­drin immer wie­der Livia, die trank, quat­sche und erzähl­te von ihren Träu­men, von Rei­sen und son­ni­gen Strän­den, die Welt dreh­te sich, die Ster­ne dreh­ten sich, es wur­de drei, es wur­de halb­vier, bis ich ins Auto klet­ter­te und von innen mit dem Zünd­schlüs­sel zentralverriegelte.
Irgend­wann um sechs, halb­sie­ben wach­te ich auf, es war hell, mein Kopf dröhn­te, ich sah dop­pelt, ich war rest­be­sof­fen, ich such­te im Navi nach der nächs­ten Tank­stel­le, 780 Meter war sie ent­fernt, ich star­te­te den Motor und fuhr los, und Tina war tot.

Tags: Tina

    Schreib einen Kommentar