Als ich vor rund vier Wochen früh morgens in der U‑Bahn auf dem Handy die Schlagzeilen durchging und las, Nancy Faeser habe das Compact-Magazin verboten, dachte ich zunächst, ich lese nicht recht, das sei wahrscheinlich ein Fake, aber dazu gab es ein Video, das sehr echt wirkte. Die Innenministerin sagte darin: “Heute habe ich das Compact-Magazin verboten …”, und nach allem, was meine Recherchemöglichkeiten hergaben, war es tatsächlich echt, kein Fake, keine KI, die Meldung kam direkt vom Bundesinnenministerium.
Zunächst mußte ich Compact einordnen, Compact und Konkret, die beiden hab ich öfter verwechselt, es war also Compact, davon hatte ich gelegentlich was mitbekommen, zum Beispiel, daß welche forderten, Kaufland solle Compact aus den Regalen entfernen. Spinner, dachte ich da. Warum sollte Kaufland dieses Magazin rauswerfen? Die können verkaufen, was sie wollen, solang das legal ist, doch nun war das Compact-Magazin nicht mehr legal, es war verboten, Nancy Faeser hatte es gesagt.
Tatsächlich hatte sie jedoch nicht das Compact-Magazin selbst verboten, das ging nicht, wegen Artikel 5 Grundgesetz, Presserecht usw., sie hatte stattdessen die Compact GmbH als Vereinigung verboten, die unter Führung von Jürgen Elsässer das Ziel habe, durch ihre Publikationen das Regime zu stürzen. Sehr vereinfacht gesagt, ist das Innenministerium der Ansicht, die Compact-Vereinigung wolle mit ihrem Compact-Magazin die Leser durch die Inhalte soweit aufwiegeln, daß sie mit Mistgabeln bewaffnet den Reichstag stürmen und gewaltsam die Regierung verjagen, was ein Verbot der Vereinigung rechtfertigen würde. Dem setzt Elsässer entgegen, daß er das Regime lediglich mit demokratischen Mitteln habe stürzen wollen, also daß er mit dem Compact-Magazin die Leser so beeinflussen wollte, daß sie in freien Wahlen bestimmte Parteien wählen und damit die Regierung ganz ohne Mistgabeln aus dem Amt jagen, völlig demokratisch, Grundrechtskonform und legitim, womit ein Verbot inakzeptabel sei.
Darüber werden die Gerichte entscheiden, und ganz am Ende in ein paar Jahren sicher das Bundesverfassungsgericht.
Doch egal, was die Richter sagen, egal, was rauskommt, Nancy Faeser hat es gesagt: “Ich habe das rechtsextremistische Compact-Magazin verboten. Dieses Magazin hetzt und agitiert auf unsägliche Weise gegen Jüdinnen und Juden, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen unsere parlamentarische Demokratie”, was soviel heißt wie “Da steht Scheiße drin, du darfst das nicht lesen.”
Das kenne ich aus der DDR, dort wurde vermittelt, im Westfernsehen wird Scheiße gesendet, das darfst du nicht gucken. Es gab auch verbotene Bücher, 1984 von Orwell zum Beispiel, da steht Scheiße drin, das darfst du nicht lesen. Wer das Buch besessen oder verliehen hat, ist in den Knast gekommen. 1987 zum Beispiel ein 27-jähriger für etwas mehr als 2 Jahre mit der Begründung vom Gericht: “Das Buch ‘1984’ soll dazu dienen, den Sozialismus zu verteufeln und zu verunglimpfen. Dabei wird insbesondere die Sowjetunion, sowie die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei diffamiert. Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen. Daher lautet das Urteil 2 Jahre und 3 Monate Haft, ohne Bewährung.” Die zitierte Begründung des DDR-Gerichts könnte man sicher für authentisch halten, wüßte man nicht, daß ich ein Zitat von Nancy Faeser dazu geschummelt habe.
Wenn mir jemand sagt, da steht Scheiße drin, das darfst du nicht lesen, woher soll ich wissen, daß das stimmt? Soll ich das Nancy Faeser bedingungslos glauben? Wie kann ich das überprüfen? Die Webseite von Compact gibt es nicht mehr, auch archive.org ist wenig hilfreich, denn die paar Artikel, die man dort findet, sind höchstens Teaser für Artikel in der Printausgabe oder hinter Paywall, auf Ebay gibt es keine Compact-Hefte, denn der Vertrieb, die Weitergabe, der Verleih ist verboten, und bei Kaufland ist Compact natürlich auch aus den Regalen verschwunden.
Das gleicht der Situation vor 40 Jahren in der DDR, wo du wissen wolltest, steht in Orwells 1984 wirklich Scheiße drin? Wie kann ich das prüfen, wie kann ich das Buch lesen, wo bekomme ich das Buch her? Das Buch gab es nicht zu kaufen, das gab es höchstens, wenn es wer über die Grenze in die DDR geschmuggelt hatte.
Ich hatte es mir damals von Klaus geliehen, der hatte sich damit, daß er es mir gegeben hatte, strafbar gemacht, und der, der es Klaus gegeben hatte, hatte sich auch strafbar gemacht, und ich hatte mich strafbar gemacht, es zu lesen. Wir sind zum Glück nicht erwischt worden, in der Weitergabekette war niemand von der Stasi und kein Denunziant.
Im Prinzip habe ich heute, genau wie damals mit Orwell, keine Möglichkeit, mir ein Compact-Magazin auf legalem Wege zu beschaffen.
Allerdings sind die Autoren des Compact-Magazins nicht im Knast, sie haben nach allem, was mir bekannt ist, mit ihren Texten nicht gegen geltendes Recht verstoßen, sie können weiter publizieren, jeder für sich, nur nicht als die Vereinigung Compact GmbH, und nun haben sie, jeder für sich, ihre Artikel in der Näncy veröffentlicht, die man sich auf der Seite des Demokratischen Widerstandes zum Preis von 10 Euro als E‑Paper kaufen kann. Die in der Näncy zusammengetragenen Artikel sollen im Groben auch jene sein, die in der August-Ausgabe des Compact-Magazins erschienen wären.
Wenn mich vor vielleicht 10 Jahren jemand gefragt hätte, ob ich mir jemals ein rechtsextremes Magazin kaufen würde, hätte ich “nein” gesagt und, wie ich heute weiß, damit falsch gelegen.
Ich habe mir die Näncy gekauft und sie durchgelesen.
Es beginnt mit der Rubrik “Foto des Monats”, zu welchem das Foto von Donald Trump gewählt wurde, jenes Foto, auf dem er von Leibwächtern umringt mit blutigem Ohr unter der US-Flagge die Faust empor streckt. Ich denke, jeder kennt das Bild. Elsässer schreibt dazu, dieses Foto habe Trump unsterblich gemacht. Ich würde mich seiner Meinung anschließen, es ist ein großartiges Foto, das in die Geschichtsbücher eingehen könnte, wie auch das Bild von John F. Kennedy, der mit zerplatztem Kopf in der offenen Limousine liegt, während seine Frau im rosa Kleid versucht, nach hinten über den Kofferraum davonzuklettern.
In den ersten 5 Artikeln geht es dann um das Bündnis Sarah Wagenknecht, BSW, die “Einfraupartei” mit der “Roten Diva”, die daran sei, mit Blick auf die kommenden Wahlen, ein Bündnis mit der CDU zu schmieden, Hauptsache gegen die AfD, es wird über den Listenparteitag des BSW-Landesverbandes in Potsdam geschrieben, dort herrsche Inzucht, man wähle sich gegenseitig, 31 Mitglieder sind anwesend, 30 werden nominiert. Danach ein Interview mit Jörg Urban, dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden der sächsischen AfD, wo auch über das mögliche Bündnis von BSW und CDU diskutiert wird, aber auch über ein Bündnis von CDU und AfD und einzureißende Brandmauern. Soweit bisher unspektakulär.
Es folgt ein Artikel über Joshua Kimmich, der einst als Impfgegner medial zerstört wurde, der jetzt gesagt haben soll, er wolle mit seinen Sportkameraden für unser Land “Ruhm und Ehre ergattern”, wozu der Autor des Artikels bemerkt, daß bei diesen Tönen Kimichs früherem Weggefährten Goretzka vor Schreck die Antifa-Sticker aus der Hand fallen würden. Da ich Goretzka nicht kenne und die ganze Fußballszene eigentlich nicht, kann ich nicht beurteilen, ob das ein guter oder schlechter Punkt war.
Dann ein Beitrag über einen türkischen Fußballer, der bei der EM im Stadion den Wolfsgruß gezeigt und dafür zwei Spiele Spielverbot bekommen hat, woraufhin türkische Fans beim nächsten Spiel aus Solidarität im Stadion den Wolfsgruß zeigten. Das sei bei den Türken nur eine patriotische Geste, unpolitisch und vermutlich auf die Asena-Legende zurückzuführen. Das halte ich für Unsinn. Zwar steht in der türkischen Wikipedia (und nur dort), daß das mal ein unpolitischer Gruß gewesen sei und womöglich was mit Asena zu tun habe, heutzutage dieser Gruß aber ausschließlich von den Grauen Wölfen besetzt sei. Von den abschließenden Worten des Artikels dürften sich einige dann richtig in die Fresse getreten fühlen: “Kein Patriotismus ist illegal. Jede Regenbogenfahne im Stadion ist schädlicher für unser Land als 1000 Wolfsgrüße”.
Ich möchte hier nicht zu detailliert auf alle Artikel eingehen und fasse nur kurz zusammen, wer will kann sich die Näncy ja einfach kaufen. Im Näncy-Magazin findet man unter anderm noch einen Beitrag über die Wahlen in Frankreich, bei der Le Pen zwar die meisten Stimmen bekommen, doch aufgrund des komplizierten Wahlsystems trotzdem nicht gewonnen habe, ein paar Beiträge über Donald Trump, wie er den Ukraine-Krieg beenden würde, wenn er wieder im Amt ist, daß Trump nicht von Moskau erpresst werde, obwohl er in den 80ern mal in einem Moskauer Puff gewesen sein könnte, über die “Friedensmission” von Orban, der kürzlich Selenski, Putin, Xi Jinping, Erdogan und auch Trump besucht habe, einen Beitrag über Influenzer, die irgendwelchen Bueaty-Müll bewerben, sie werden gegenübergestellt mit Influenzern aus früheren Zeiten, die der Gesellschaft noch einen Mehrwert gegeben hätten (Schiller, Goethe), einen Bericht über einen Ukrainischen Soldaten, der zu den Russen übergelaufen sein soll, interessant zu lesen, ob das stimmt, ist sowieso ungewiß, und einer schreibt über einen AMG-Mercedes, den er sich gebraucht gekauft hat, ärgert sich, daß das Ding klappert und miese Qualität hat, bei dem er dann die HERMES-Box abgeklemmt habe, wonach das Fahrzeug nicht mehr im Mobilfunknetz eingebucht ist, weshalb er später von Mercedes Post bekommen habe, daß man sich Sorgen um seine Sicherheit mache und man das Auto ggf. stillegen müsse, wenn er die HERMES-Box, die die Überwachung realisiert, nicht wieder aktivieren lasse.
Ganz am Ende findet man auch noch einen Beitrag von Martin Sellner, in dem Sellner (sinngemäß) zu erklären versucht, wie man den Linken sein Konzept von Remigration verständlich machen könne.
Insgesamt fand ich die Lektüre des Näncy-Magazin recht unterhaltsam. Die Texte sind gut geschrieben, vom Still erinnern sie teilweise an Hintergrundartikel wie sie auch im Spiegel erscheinen könnten, wobei sie inhaltlich natürlich völlig konträr sind, auch sind sie wesentlich derber, wenn man Humor und Seitenhiebe einbezieht (Wirrologe Drosten, Flüchtlinge sind Versorgungssuchende, usw.)
Das kann man mögen oder nicht, man kann sich darüber aufregen oder nicht, man kann es lesen oder nicht, man könnte es einfach ignorieren.
Ich hab viele Kommentare zum Compact-Verbot gelesen, manche meinten, das Verbot sei längst überfällig gewesen. Ich bezweifle, daß die meisten derer, die das Verbot beführworten, sich jemals die Mühe gemacht haben, das Magazin anzuschauen, sondern nur von anderen gehört haben, da steht Scheiße drin, das soll keiner lesen, das muß verboten werden.
Abschließend möchte ich noch eine Verschwörungstheorie beisteuern, eine Verschwörungstheorie, bei der man mehrfach um die Ecke denken muß, aber genau das haben gute Verschwörungstheorien ans sich, daß sie so verrückt sind, daß man sie für verrückt hält: Obwohl Jürgen Elsässer sagt, daß er das Regime lediglich mit demokratischen Mitteln stürzen wolle, also dadurch, das er die Leser seines Magazins so beeinflußt, daß sie durch freie Wahlen einen Regierungswechsel herbeiführen, will er tatsächlich doch einen gewaltsamen Umsturz einleiten, nämlich dadurch, daß er ein Magazin herausgibt, dessen Inhalte immer ganz dicht unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen, so dicht, daß der Verfassungsschutz und das Bundesinnenministerium maximal provoziert werden und das Magazin schließlich verzweifelt verbieten. Nun ist Elsässers Kalkül, daß die Bürger, ob dieser unsäglichen Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit zur Mistgabel greifen, den Reichstag stürmen und die Regierung, unter der dieses Verbot erlassen wurde, gewaltsam verjagen.
Ein Verbot der Vereinigung Compact GmbH wäre demnach völlig gerechtfertigt, da die Compact GmbH einen gewaltsamen Umsturz zum Ziel hatte, allerdings zieht das Verbot auch den gewaltsamen Umsturz nach sich. Damit wäre am Ende die wehrhafte Demokratie der wahren Demokratie unterlegen.
Obgleich ich den letzten Satz selbst erdacht und formuliert habe, verdreht er mir das Hirn, aber genau das ist es, was eine gute Verschwörungstheorie ausmacht.
Daß die DDR-Bürger einst auf die Straße gegangen sind, “Wir sind das Volk” gerufen und die Regierung gestürzt haben, lag übrigens nicht daran, daß sie alle 1984 von Orwell gelesen hatten, denn das hatte kaum jemand, schließlich gab es das Buch nicht, es war verboten, sondern es lag vielmehr daran, daß das Buch verboten war.
Ich werde mir jetzt eine Konkret besorgen, bevor diese Zeitschrift unter dem nächsten Innenminister ebenfalls verboten wird.
1 Kommentar
rutheschnute
yes yes und yes. verboten gut
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