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Einmal Ballweg und zurück

Eigent­lich war ich nicht wirk­lich zur Demo, son­dern nur zur Abschluß­kund­ge­bung, Micha­el Ball­weg trat auf die Büh­ne, Jubel, er erklär­te, wohin die Spen­den zu ent­rich­ten sei­en, dann sag­te er, es gebe natür­lich auch Auf­la­gen für die­se Ver­samm­lung und bat die Regie, die Auf­la­gen kurz ein­zu­spie­len. Eine Frau­en­stim­me las vor: Auf­la­gen für die­se Ver­samm­lung: Es ist unter­sagt, Kenn­zei­chen des Ver­eins Com­pact-Maga­zin GmbH und sei­ner Teil­or­ga­ni­sa­tio­nen Con­spect Film GmbH …, ab hier konn­te ich nichts mehr ver­ste­hen, da die Men­ge mit Buh­ru­fen und Pfif­fen die Ansa­ge voll­stän­dig über­tön­te, und nach­dem die Ansa­ge vor­über war, sag­te Micha­el Ball­weg, weil es so laut gewe­sen sei, und damit er sei­ner Pflicht nach­kom­me, wür­de er bit­ten, das noch ein­mal ein­zu­spie­len. Die Frau­en­stim­me las wie­der vor: Auf­la­gen für die­se Ver­samm­lung: Es ist unter­sagt, Kenn­zei­chen des Ver­eins Com­pact-Maga­zin …, ab hier ertrank die Ansa­ge wie­der in den Pfif­fen und Buh­ru­fen der Demonstranten.
Nach die­sen For­ma­li­tä­ten wur­de die Kund­ge­bung offi­zi­ell eröff­net, und dazu san­gen alle gemein­sam die Deut­sche Natio­nal­hym­ne, begin­nend mit der drit­ten Strophe.
Ich hat­te es mir auf einer Wie­se am Ran­de bequem gemacht, das Fahr­rad an einen Baum gelehnt, den Ruck­sack als Rücken­leh­ne vor dem Fahr­rad. Die Leu­te um mich her­um san­gen zeit­lich ver­setzt zu dem, was von der Büh­ne her­über­kam. An mei­nem Platz klang die Natio­nal­hym­ne wie ein schrä­ger Kanon.
Wohin ich auch blick­te, nie­mand schien unter 50 zu sein, älte­re Her­ren, älte­re Frau­en, es war eine Ü50-Ver­an­stal­tung, und plötz­lich stand Ulri­ke da, wahr­schein­lich die ein­zi­ge Frau um die drei­ßig hier, und sag­te: “Hey Tube! Du auch hier? Was für eine Überraschung.”
Ich hat­te eigent­lich nicht erwar­tet, jeman­den zu tref­fen, den ich ken­ne, obwohl ich wel­che ken­ne, von denen ich erwar­tet hät­te, sie hier anzu­tref­fen, aber daß man sich in der Men­ge über den Weg läuft, hielt ich für unwahrscheinlich.
Ulri­ke war Heil­prak­ti­ke­rin, ich kann­te sie von den Jugend­wei­he-Ver­an­stal­tun­gen im FEZ, und spä­ter arbei­te­te sie in dem unglaub­lich teu­ren Bio­la­den in Pan­kow bei mir um die Ecke. Den Bio­la­den gibt es nicht mehr.
Ulri­ke frag­te, war­um ich hier sei. Ich wuß­te es eigent­lich nicht. Woll­te ich nur mal schau­en, oder war ich auch Demons­trant? Allein, daß ich nur mal schau­en woll­te, mach­te mich schon zum Demons­tran­ten, denn ich war Teil der Men­ge, auch wenn ich kein Pla­kat in den Hän­den hielt.
Ich sag­te, ich woll­te mal schau­en, und Ulri­ke frag­te, wie ich denn von der Ver­an­stal­tung erfah­ren hätte.
“Aus dem Inter­net”, sag­te ich. Mir war irgend­wann ein Auf­ruf zu einer Gegen­de­mo in die Time­line gespült wor­den, gegen Wis­sen­schafts­feind­lich­keit, Gera­de­den­ken, Quer­den­ker ver­hin­dern, hieß es da und, das rechts­extre­me und ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sche Spek­trum wol­le gemein­sam mit anti­fe­mi­nis­ti­schen Mobi­li­sie­run­gen das The­ma “Frie­den” für sich instrumentalisieren.
Bei Frie­den bin ich dabei, also bin ich hin.
Ulri­ke erzähl­te, daß es 2021 wesent­lich vol­ler war, tol­le Stim­mung, aber heu­te sei auch tol­le Stimmung.
2021 war die wohl größ­te Quer­den­ker-Demo jemals, die einen spra­chen von 13.000 Teil­neh­mern, die ande­ren von 1,3 Mil­lio­nen. Wel­che Zahl rich­tig ist, weiß ich nicht. Ich war nicht dabei.
Ulri­ke ver­schwand wie­der in der Men­ge zwi­schen blau­en Fah­nen mit wei­ßen Frie­dens­tau­ben. An mir lief jemand mit einem Hut aus Stan­ni­ol­pa­pier vor­bei, ein Aluhut.
Auf der Büh­ne wur­de gespro­chen: Geld sei gespei­cher­te Ener­gie, die EU habe rus­si­schen Staats­be­sitz beschlag­nahmt, Geld wer­de durch Krie­ge in die Luft geschleu­dert. Moder­ne Raub­rit­ter woll­ten Geld für Schuld. Krieg über­all, die Ach­se des Bösen müs­se bekämpft wer­den. Der Wokis­mus, die Erzie­hung zum Guten, eröff­ne die Feind­schaft gegen jede zivi­li­sa­to­ri­sche Leis­tung und den Krieg im Innern der west­li­chen Gesell­schaft. Krieg welt­weit für ver­spro­che­nen Schutz schaf­fe stän­dig neue Opfer. In Pal­es­ti­na, in Isra­el, in der Ukrai­ne. Die­ser Krieg sei ein ganz Euro­pa bedro­hen­der Krieg gewor­den. Leben selbst wer­de zum Feind. Ist Frie­den über­haupt noch gewünscht? Debat­te, Aus­tausch, Ver­ste­hen, statt Krieg! Und es erklang Musik! Gitar­ren­ge­schram­mel zu schö­nem Gesang: “Wenn die Frie­dens­tau­be spricht, schaut sie sanft in dein Gesicht, und sie erzählt dir von der Welt und wie der Frie­den Ein­zug hält.” Micha­el Ball­weg erklär­te, wir müß­ten uns der Über­wa­chung ent­zie­hen, Han­dys ver­wen­den, die unab­hän­gig von Goog­le und Co. sei­en, und wir soll­ten uns mit Bit­co­in aus­ein­an­der­set­zen, unab­hän­gig wer­den von der Will­kür der Ban­ken. Eine Freun­din der Her­me­tik erklär­te, die Welt glei­che einem Irren­haus, doch wir selbst wüß­ten es bereits, sonst wären wir nicht hier. Was wir außen sähen, stel­le eine Refle­xi­on unse­res Inne­ren dar. Das, wor­auf wir den Fokus leg­ten und mit Ener­gie nähr­ten, wach­se. Jeder Miß­stand auf der Welt beru­he auf Geis­tes­krank­heit, die ent­ste­he, wenn die Ver­bin­dung zum Her­zen gestört sei. Es gehe nicht um die bun­te Gesell­schaft, es gehe um dich und dein Herz und dei­ne Gesund­heit. Ent­gif­tung, Heil­fas­ten, Para­si­ten­kur, denn ein gesun­der Geist kön­ne nur in einem gesun­den Kör­per leben. Das Ziel sei nicht das gol­de­ne Zeit­al­ter, das Ziel sei das gol­de­ne Herz.
Mir dröhn­te der Kopf ob der schwe­ren Wor­te, von denen mir eigent­lich nur die Erklä­run­gen zu Bit­co­in schlüs­sig erschie­nen, denn Micha­el Ball­weg brauch­te Geld.
Immer noch auf der Wie­se an mei­nen Ruck­sack gelehnt, eine Cola in der einen Hand und eine Ziga­ret­te in der ande­ren, betrach­te­te ich die Leu­te, lus­ti­ge Leu­te, bun­te Leu­te, Leu­te mit Pla­ka­ten und Sprü­chen auf den T‑Shirst, Frie­den, Frei­heit, Sou­ve­rä­ni­tät, ein Pla­kat, auf dem stand: “Und wie­der wird es hei­ßen: Ich … wuß­te von nichts” zu dem Bild eines Man­nes, der ARD und ZDF im Fer­se­hen schaut, Ruß­land­fah­nen, Frie­dens­tau­ben­fah­nen, Deutsch­land­fah­nen, einen Pal­es­ti­na­wim­pel konn­te ich auch erken­nen, und ich sah einen Mann, der einen auf­ge­fal­te­ten Stadt­plan in den Hän­den hielt. Er such­te dar­auf wohl einen Ort und eine Rou­te, wie er zu die­sem Ort gelan­gen könn­te. Er tat es völ­lig ohne Han­dy, ohne Navi-App, ohne GPS, nur mit einem Stadt­plan, einer Land­kar­te aus Papier. Das erschien mir noch kurio­ser als der Typ mit dem Alu­hut, denn dem mit Alu­hut hät­te ich noch Iro­nie unter­stellt, dem Mann mit dem Stadt­plan aber nicht. Ich glau­be, der mein­te es ernst.
Auf der Büh­ne erzähl­te jemand, es gehe mit unse­rer Repu­blik gut wei­ter, wenn wir woll­ten. Es gebe jedoch Kräf­te, die unse­re Demo­kra­tie, den Rechts­staat, unse­re kul­tu­rel­le Basis und unse­re Frei­heits­rech­te aus­an­der­neh­men woll­ten. Die­se Kräf­te schei­nen unend­lich stark, selbst Krieg erscheint plötz­lich wie­der als unhin­ter­frag­ba­re Opti­on. Was kön­nen wir dage­gen tun? Eine Volks­ur­ab­stim­mung müs­se her, ein Volks­ur­ab­stim­mung über die Grund­la­gen unse­rer Gesell­schaft. Das Grund­ge­setz sei kei­ne Ver­fas­sung für uns Bür­ger. Für unse­re Poli­ti­ker und für die Rich­ter hat es die Ver­fas­sung zu sein. Die Ver­fas­sung gibt ihnen den Rah­men ihres Han­delns, aber nicht für das Volk.
Dem konn­te ich zustim­men, applau­dier­te aber nicht mit den ande­ren, da es mit der Ziga­ret­te und der Cola in der Hand nur blöd zu machen war.
Der Red­ner erläu­ter­te wei­ter, daß das Grund­ge­setz zur Ver­fas­sung erho­ben wer­den soll­te, aller­dings, ohne die vor­han­de­nen Män­gel mit­zu­neh­men und statt­des­sen das Recht auf Volks­ab­stim­mung voll­um­fäng­lich zu ver­an­kern sei. Und dies möge durch die Volks­ur­ab­stim­mung beschlos­sen wer­den, denn in Arti­kel 146 des Grund­ge­set­zes hei­ße es, die­ses Grund­ge­setz ver­liert sei­ne Gül­tig­keit an dem Tag, an dem eine Ver­fas­sung in Kraft tritt, die vom Deut­schen Volk in frei­er Ent­schei­dung beschlos­sen wor­den ist.
Danach sprach noch jemand über Coro­na, eine Auf­ar­bei­tung und die RKI-Files, doch ich mach­te mich auf und ver­ließ das Gelände.
Am Aus­gang beim Gro­ßen Stern, vor dem Kund­ge­bungs­ge­län­de, gab es noch eine Merk­wür­dig­keit, ein klei­ner umzäun­ter Bereich, eine Art Gehe­ge, das meh­re­re Poli­zis­ten sehr auf­merk­sam zu bewa­chen schie­nen. In dem Gehe­ge war eine gro­ße Anti­fa-Fah­ne auf­ge­spannt, und ein paar Leu­te in Kro­ko­dil­kos­tü­men oder Ech­sen­kos­tü­men lie­fen in dem Gehe­ge umher, rede­ten in einer Art Baby­spra­che, ich konn­te eigent­lich nichts ver­ste­hen, viel­leicht rie­fen sie “Käääääämpffft! Kääääääämpft!”, aber sicher bin ich nicht.
Mir war unklar, was das bedeu­ten oder bezwe­cken soll­te, ob das Kunst war oder Kampf gegen Nazis, denn einer von denen im Gehe­ge hat­te auch ein Schild um, auf dem “FCK NZS” stand.
Auf dem Fahr­rad heim gen Pan­kow rol­lend, kam mir noch ein­mal der Beginn der Kund­ge­bung in den Sinn, denn dort wur­de auch eine kur­ze Auf­zeich­nnug aus dem Fern­se­hen aus der Coro­na-Zeit ein­ge­spielt, wo jemand sag­te: “Wir wer­den eine Situa­ti­on haben, daß jeder irgend­je­man­den kennt, der an Coro­na ver­stor­ben ist”, und danach wur­de ein wei­te­rer Aus­schnitt, wohl aus einer Talk­show ein­ge­blen­det, wo jemand sag­te: “Wir wer­den in Öster­reich, der Schweiz und Deutsch­land auch bald die Situa­ti­on haben, daß jeder irgend­je­man­den kennt, der auf einer Quer­den­ken-Demo war.”
Nun habe ich mei­nen Bei­trag geleis­tet. Wer mich kennt und bis­lang noch kei­nen kann­te, der auf einer Quer­den­ken-Demo war, kennt jetzt jemanden.

Tags: Demokratie, Querdenker, Diktatur, Grundgesetz, Verfassung, Demo, Frieden, Freiheit, Wahrheit, Nazis, Corona, Compact

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