Ich weiß nicht, ob es eine offizielle Konvention gibt, ich zumindest habe gelernt, daß man demjenigen, der einen Krümel im Mundwinkel hat, die Stelle, wo er den Krümel hat, anzeigt, indem man bei sich selbst im Gesicht dort hinzeigt, wo man selbst den Krümel hätte, wenn man der andere wäre. Wenn der andere also, von sich aus gesehen, den Krümel rechts hat, zeige ich ihn, von mir aus gesehen, auch rechts an.
Mir ist aufgefallen, daß viele Menschen diese Konvention nicht oder eine andere zu kennen scheinen, nämlich daß sie, wenn ich ihnen die Stelle bei mir im Gesicht zeige, genau auf der anderen Seite bei sich im Gesicht herum wischen, also von mir aus gesehen, wischen sie sich auf der selben Seite herum, wo ich bei mir hingezeigt habe, aber von sich aus gesehen auf der anderen Seite.
Das mag auf mangelndes Abstraktionsvermögen zurückzuführen sein, daß sie mich nur wie einen Spiegel wahrnehmen, oder eben, die Konvention, die mir einst beigebracht wurde, ist nicht die allgemein gültige. Vielleicht gibt es da regionale Unterschiede, so wie man in machen Regionen sagt “viertel acht” und 19.15 Uhr meint, während es anderswo 19.45 Uhr bedeutet.
Tatsächlich könnten wir Krümel im Gesicht auch durch Uhrzeiten beschreiben, indem wir gedanklich ein Ziffernblatt auf den Kopf des anderen projizieren.
Dann könnte wir sagen: “Du hast eine Tropfen Bier an der sechs” oder “Du hast einen Krümel auf halb acht hängen”, wobei der andere jetzt wissen muß, wie herum ich das Ziffernblatt auf seinen Kopf projiziert habe, und am Ende wischt er sich womöglich trotzdem an der falschen Seite, weil er viertel acht für das hält, für das ich dreiviertel acht halte.
Es ist wirklich am Klarsten, wenn man bei sich im Gesicht dahin zeigt, wo man den Krümel hätte, wenn man der andere wäre. Da muß man eben etwas mitdenken, sich in den anderen hineinversetzten und im Prinzip das Umgedrehte tun, wie als wenn man in einen Spiegel blickt. Das gilt jedoch nur für links und rechts, nicht für oben und unten. Wenn ich zum Beispiel jemanden dezent darauf aufmerksam machen möchte, daß er mit dem rechten Fuß in einem Haufen Hundescheiße steht, dann zeige ich bei mir auf den rechten Fuß und nicht bei mir auf den Kopf und ihm damit vielleicht noch einen Vogel.
Auf den ersten Blick scheint es unlogisch, daß man beim Krümel zeigen links und rechts vertauschen muß, aber nicht oben und unten, doch es wird schnell klar, wenn man sich veranschaulicht, daß man, wenn man jemand anderem gegenübersteht, um 180 Grad um die Längsachse gedreht ist. Man ist aber nicht um die Achse, die durch den Bauchnabel geht, gedreht.
Dieser Fall träte zum Beispiel ein, wenn ich einem Menschen, der grade Kopfstand macht, anzeigen möchte, daß er einen Krümel an der rechten Wange hat, wobei ich selbst keinen Kopfstand mache.
Ich sage zu dem, der Kopfstand macht: “Du hast einen Krümel im Gesicht.”
Er fragt:” Wo?”
Würde ich ein spiegelbildlich denkender Mensch sein, müßte ich jetzt auf meinen linken Fuß zeigen. Da ich aber die alte, mir bekannte Konvention anwende, zeige ich schlicht auf meine rechte Wange. Ist nun der Kopfstehende ein spiegelbildlich denkender Mensch, müßte er, nachdem ich auf meine Wange gezeigt habe, den rechten Fuß schütteln, um den Krümel loszuwerden, kennt er dagegen meine Konvention, versucht er sich den Krümel von der rechten Wange zu wischen und kippt dabei wahrscheinlich um.
Am einfachsten wäre natürlich, wenn man einfach geradeaus mit dem Finger dort hinzeigt, wo der andere den Krümel hat. Man muß nicht umdenken, nicht umrechnen.
Doch das hat sich nicht als Konvention etabliert.
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