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Die Geschichte vom Westschloß

Wenn ich sage, daß ich einen wei­ßen Star hat­te, ist damit kei­ne Krank­heit gemeint, son­dern mein Moped, ein Star, den ich weiß hat­te sprit­zen las­sen, den es ori­gi­nal nur in rot mit hell­grau gab.
Vie­le mein­ten, das sehe nicht cool aus, nicht west­lich. Bei solch einer Kar­re müß­ten der Tank und die Sei­ten­ble­che mit schwar­zem Ein­brenn­lack über­zo­gen und die Sitz­bank müs­se abge­steppt sein. Dazu soll­ten die Blin­ker vom Len­ker weg und dicht an die Lam­pe mon­tiert, und über­haupt, ein höhe­rer Len­ker gehö­re drauf und hin­ten ein ver­chrom­ter Päcki.
Mir war das egal, mir gefiel das Moped auch so.

Das Moped hat­te ich immer mit einen Fahr­rad­schloß gesi­chert, denn bei DDR-Mopeds waren die Zünd­schlüs­sel alle gleich. Mit dem Zünd­schlüs­sel mei­nes Stars ließ sich jeder ande­re Star, jede Schwal­be und jede Sim­son star­ten, und umge­kehrt mit den Zünd­schlüs­seln aller ande­ren Mopeds auch mein Star.
Das Fahr­rad­schloß, das ich zum Anschlie­ßen ver­wen­de­te, war ein Schloß aus dem Wes­ten, ein West­schloß, das mir mei­ne Oma ein­mal mit­ge­bracht hat­te. Es war eine chrom­glä­zen­de Ket­te, die mit einem vier­stel­li­gen Zif­fern­code zu öff­nen war. So etwas gab es im Osten nicht. Jeder erkann­te, daß die­ses Schloß aus dem Wes­ten war, ein wun­der­schö­nes, eines, das, so hät­te man gedacht, bes­ser als jedes DDR-Fahr­rad­schloß sei.
Doch dann hat­te ich ein­mal das Moped, nach­dem ich es auf dem Geh­steig geparkt hat­te, auf die Stra­ße gescho­ben, da fiel mir ein, daß ich das Schloß vor­her noch hät­te ent­fer­nen müs­sen. Es war zu spät, die Ket­te war geris­sen, ein Ket­ten­glied hat­te sich auf­ge­bo­gen, ich hat­te nicht den gerings­ten Wider­stand bemerkt.
Selbst­ver­ständ­lich habe ich das Schloß nicht weg­ge­wor­fen, ich hab es repa­riert, denn es war ein West­schloß. Ich habe es repa­riert, indem ich das kaput­te Ket­ten­glied mit einer Zan­ge zusam­men­ge­drückt habe.
Eine Woche spä­ter ist mir das Schloß geklaut wor­den, nicht das Moped, son­dern das Schloß(!).
Ich hat­te das Moped vor der Schu­le abge­stellt, nach dem Unter­richt war das Schloß weg, und schon am nächs­ten Tag sah ich, daß Lut­ze aus der 10b sei­ne S51 Endu­ro vor der Schu­le mit einem West­schloß anschloß, mit mei­nem Westschloß.
Ich frag­te ihn, ob das mein Schloß sei, ob er das geklaut hät­te, ob er die Zif­fern­kom­bi­na­tio­nen alle durch­pro­biert hät­te, ob der Code 1347 lau­te­te, und er sag­te, nee, das Schloß habe ihm sei­ne Oma mit­ge­bracht und sein Code lau­te 1374.
Ich weiß nicht, ob er “1374” nur so daher gesagt oder ob er das Fahr­rad­schloß tat­säch­lich aus­ein­an­der­ge­baut und zwei Zif­fern­rin­ge ver­tauscht hat­te, damit eine ande­re Kom­bi­na­ti­on ent­stand, ich hab es nie geprüft, es war mir egal, denn selbst wenn “sein” Schloß irgend­ei­ne belie­bi­ge ande­re Kom­bi­na­ti­on gehabt hät­te, ich wuß­te, daß ich sein Moped nur ein Stück vor­schie­ben und mit dem sozia­lis­ti­schen Ein­heits­zünd­schlüs­sel star­ten hät­te müs­sen, um es zu klauen.

Tags: DDR, Schloß, Diebstahl, Westen, Osten, Star, Moped

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