Ich nenne ihn Bücherbaum, den Baum, um den liebevoll ein Bücherschrank gebaut ist. Er befindet sich (noch) im sogenannten “Schloßparkkietz”, um den jahrelang gestritten wurde, man stritt, ob dort Häuser gebaut werden dürfen oder nicht. Nachverdichtung nennen sie es, wenn sie Innenhöfe mit Häusern zuklotzen, und für die Nachverdichtung im Schloßparkietz müßten bis zu 170 Bäume gefällt werden. Es geht um einen Spielplatz und eine grüne Fläche, auf der auch der Bücherbaum steht.
Auf dem Rückweg vom Kaufland hab ich dort oft Halt gemacht, im Bücherbaum gestöbert, das eine oder andere Buch entnommen, gelegentlich auch etwas hineingestellt. Ich fand einmal eine Ausgabe der Geschützten Männer von Robert Merle, stark zerfleddert, vom Inhalt hochaktuell. Viele der Bücher erzählen Geschichten, nicht nur Geschichten, die in den Büchern stehen, sondern auch die Geschichten ihrer ehemaligen Besitzer, die vielleicht längst verstorben sind. Eimal sah ich ich fünf Jules-Verne-Bücher nebeinander, jene herrlichen DDR-Ausgaben, ich besitze sie ebenfalls, ich habe sie in meiner Jugend gelesen und geliebt, sie haben mich geprägt, ich würde diese Bücher niemals hergeben, und ich fragte mich: Wer ist so dumm? Wer macht das? Wer gibt seine Jules-Verne-Bücher ab und stellt sie in den Bücherschrank? Dabei erzählten die Jules-Verne-Bücher wohl allein dadurch, daß sie im Schrank standen, nur eine weitere Geschichte.
Seit Oktober letzten Jahres, also seit gut einem Jahr, ist alles abgesperrt, die Wiese und der Spielplatz sind mit Bauzäunen umstellt, Betreten verboten, bewacht vom Wachschutz, der rund um die Uhr vor Ort ist, dazu videoüberwacht.
2019 kam die Gesobau mit ihren Plänen zur Nachverdichtung daher, es sollten 170 Wohnungen entstehen, die Anwohner in die Gestaltung einbezogen werden, es war die Rede von drei Gebäuden, es gab Versammlungen, es gab Geschrei, es gab Streit, niemand wollte drei neue Häuser im Innenhof, auch keine zwei Häuser mit nur 100 Wohnungen später, es wurde die Initiative Grüner Kiez Pankow gegründet, Unterschriften gesammelt, auch ich habe unterschrieben, für den Erhalt der Bäume und der Grünflächen, gegen Versiegelung, und schließlich konnte mit dem für Pankow ausgerufenen Klimanotstand das Bauvorhaben der Gesobau gestoppt werden, vorerst, ein B‑Plan sollte her, bei dem die Bebauung so zu gestalten ist, daß Grünflächen und Bäume zum Schutze des Klimas weitestgehend erhalten bleiben, oder am besten, es wird gar nichts gebaut, denn es geht darum, diesen schönen Fleck, diesen wunderbaren Innenhof zu bewahren.
Sonntags waren oft Veranstaltungen am Bücherbaum, Kunst, Lesungen, Liedermacher und Spiele für Kinder, es gab Kuchen, Kaffee, Unterschriften wurden gesammelt.
Ich erinnere mich an Hans den Puppenspieler mit dem Holzfeuerwerk, der nach dem Ende seiner Vorstellung hinter der Bühne in den Sträuchern verschwand, um zu pinkeln, doch das Publikum hatte noch gar nicht begriffen, daß die Vorstellen beendet war, so wartete und beobachtete das Publikum Hans, dessen Kopf man noch über den Sträuchern sah, in Erwartung, daß er die nächste Nummer vorbereite.
An manchen Tagen konnte man auch der verrückten, garstigen Alten begegnen, die etwa schimpfte, daß jemand auf dem Spielplatz im Sandkasten tote Vögel vergraben habe, oder sie schlich auf der Wiese vor dem Bücherbaum umher und sammelte ein paar bunte Perlen aus dem Gras, kleine Kügelchen, die vielleicht von einem gerissenen Armband stammten, und die Alte sprach mit jedem Kügelchen, das sie auflas: Das ist Gift! Das muß ich melden. Ich muß das zur Gesobau bringen.
In jener Zeit, als die Proteste in Lützerath sich zuspitzten, Lützerath geräumt werden sollte und wir Bilder von Polizisten, die mit ihren Füßen im Matsch steckten, sich kaum vor, noch zurückbewegen konnten und immer wieder von einem Typen, der wie ein Mönch aussah, in den Matsch geschubst wurden, sympathisierten auch die Anwohner des Schloßparkkiezes mit den Besetzern von Lützerath und hängten gelbe Holzkreuze auf, wohl vorahnend, daß auch der schöne Innenhof einst geräumt werden könnte.
Das geschah auch, denn im September letzten Jahres beschloß die Gesobau, in den Innenhof eine Asylunterkunft zu bauen. Dies sei möglich an allen Vorgaben vorbei, Klimanotstand, egal, Notbebauung von Grünflächen. Es soll eine Asylunterkunft für 400 Flüchtlinge enstehen, sogenannte modulare Wohnungen, sie sollen vornehmlich Flüchtlingen ohne Kinder und Familie dienen, also jungen Männern. Seit dem ist das Gebiet mit Bauzäunen abgesperrt, der Bücherbaum nicht zugänglich, Wachschutz rund um die Uhr.
Mein Nachbar sagte: “Da bauen die jetzt für Flüchtlinge, da kommen die Hamaskämpfer alle hin.”
Wir erinnern uns der grausamen Bilder vom 7. Oktober 2023, als Hamaskämpfer in israelische Wohngebiete eindrangen und mit Kalaschnikows über 2000 Menschen niedermetzelten. Auf einem der Bilder sah man drei Frauen, die an einer Bushaltestelle niedergeschossen wurden, tot nebeneinander, halb übereinander am Boden liegend. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Frauen sich in Todesangst gegen die Wand des Wartehäuschens drückten und jemand eine Salve aus seiner Kalaschnikow in sie hineinballerte. Und an der Wand des Wartehäuschens war ein Kasten mit zwei Glastüren, ein kleiner Schrank, ein Büchertauschschrank mit ein paar Büchern drin, unter dem nun drei tote Frauen lagen, erschossen von Islamisten. Wie viele (unterschiedliche) Bücher sähen wir in diesem Schrank, wäre das Land vom Islam regiert?
Als im September letzten Jahres die Baumfällarbeiten beginnen sollten, demonstrierten aktivistische Anwohner dagegen, sie blockierten den Zugang und wurden von der Polizei fortgeschafft. Einen Tag später wurden von unbekannten Tätern bei mehreren Autos der Gesobau die Reifen platt gestochen, die Grünflächen im Innenhof von Bauzäunen umstellt und von Wachschutz bewacht. Daß die Bäume dann vorerst doch nicht gefällt wurden, konnte mit irgendeinem juristischen Trick noch verhindert werden, es ist unübersichtlich, wer mehr erfahren möchte, informiere sich auf der Webseite des Grünen Kiez Pankow oder der einschlägigen Presse, die mehrfach darüber berichtete, zum Beispiel, daß Eigentümer von Eigentumswohnungen eine Ecke weiter vor Gericht klagten, daß der Wert ihrer Eigentumswohnungen sinke, wenn dort 400 Flüchtlinge wären, womit sie keinen Erfolg hatten, daß jemand (der grüne Kiez Pankow(?)) argumentierte, daß 400 Flüchtlinge eine Belastung für die älteren Anwohner sein könnten (Warum nur für die älteren?) und vieles mehr.
Die Anwohner zeigen Transparente:
Natürlich geht es uns allen ums Klima. Wir müssen das Klima schützen. Doch die Wahrheit ist eine andere, die keiner aussprechen will: Der Schloßparkkiez wird sich verändern, vielleicht wird er auch religiöser werden, aber keiner freut sich drauf.
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