Ich war in der vierten Klasse, vielleicht war ich noch in der dritten, so genau weiß ich es nicht, als ich zum Geburtstag (oder zu Weihnachten oder zu anderem Anlaß) ein Linolschnitt-Set bekommen habe – eine Farbwalze, schwarze Farbe, ein bißchen Linoleum (Fußbodenbelag) und eine Hand voll Linolschnittmesser, U‑förmige, V‑förmige und weitere Varianten.
Linolschnitte sind leicht zu erstellen: Du zeichnest das Motiv mit Filzstift aufs Linoleum, dann schneidest du mit den Messern alles frei, was weiß bleiben soll, rollst mit der Walze Farbe aufs Linoleum, packst ein Blatt Papier drauf und ziehst es wieder ab. Auf dem Papier ist nun gedruckt, was du ins Linoleum geritzt hast.
Da ich damals schon gerne Comics zeichnete, manchmal schon dachte, vielleicht werde ich, wenn ich groß bin, Comiczeichner, zeichnete ich sogleich Comic-Figuren aufs Linoleum und schnitzte sie frei. Ich stellte unter anderem Linolschnitte mit Micky Maus und Donald Duck her.
Donald Duck konnte ich bereits im Alter von sieben Jahren ohne Vorlage freihändig mit schwungvollen Linien nahezu perfekt zu Papier bringen. Viele meiner Freunde waren davon beeindruckt, sie wollten das auch können, und ich zeigte es ihnen, ich erklärte es ihnen, zeigte es ihnen es nochmal, erklärte es ihnen nochmal, doch es gelang ihnen nicht, nicht einmal ansatzweise gelang es ihnen, einen halbwegs akzeptablen Donald Duck zu zeichnen. Manchmal sah der Kopf aus wie eine Wolke, der Schnabel war perspektivisch völlig falsch, vorn zu schmal hinten zu breit, oder die Augen waren zu weit auseinander, die Pupillen saßen an falschen Stellen. Ich verstand nicht, warum sie sich damit so schwer taten. Was hatte ich, was denen fehlte?
Für meine Donald-Duck-Linolschnitte bekam ich auch von meiner Mutter ein großes Lob: Das hast du aber toll gemacht! Das ist sehr schön geworden. Prima!
Bestärkt von dem Lob vervielfältigte ich meine Donald-Duck-Linolschnitte in “größerer” Stückzahl und bot sie meinen Klassenkameraden in der Schule zum Kauf an – 10 Pfennig(Ost) das Stück, Donald Duck zum ausmalen, und die Bilder fanden reißenden Absatz. Ein paar Kugeln Eis hatte ich mir so verdient. (Donald-Duck- und Micky-Maus-Bilder waren in der DDR nicht frei erhältlich. Die Hefte gab es nicht zu kaufen. Du brauchtest Westverwandte, Kontakte, Beziehungen, um an solche Druckerzeugnisse heranzukommen. Das war ein Grund, warum das Geschäft mit meinen Linolschnitten so gut lief.)
Als meine Mutter davon erfuhr (Ich bin mir nicht sicher, wodurch sie davon erfuhr. Hatte ich ihr von meinen erfolgreichen Geschäften selbst erzählt?), war sie verärgert und meinte, was ich mir einbilde, diese schäbigen Bilder meinen Mitschülern zu verkaufen, woraufhin ich verärgert war, da sie die Bilder kürzlich noch gelobt hatte.
Sie verbot mir, weiterhin Bilder zu verkaufen, und ich tat es nicht mehr.
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